MARTIN MRÁZ

seeking a robust city

Während meines Aufenthalts führte ich Interviews und sammelte analoge Bilder, um die Wiener Experimente des kollektiven Wohnens zu untersuchen. In siebzehn Gesprächen reflektierten Bewohner:innen, Architekt: innen oder Nachbar:innen über die mehrjährige Realisierung und den Alltag von Gleis 21. Während des analogen Workshops fotografierten über zwanzig Teilnehmer:innen Privates, Gemeinsames und Repräsentatives zum Projekt. Acht konkrete Veranstaltungen ließen mich die Vielfalt des Alltags im Haus erleben. In fünf Führungen und anschließenden Ortsbegehungen konnte ich das Gleis 21 mit den benachbarten Wohnprojekten vergleichen und sehen, wie sie sich in das Stadtbild einfügen oder es mitgestalten. Und im abschließenden Workshop diskutierte ich mit den Teilnehmer:innen, welche Erfahrungen in das fiktive „Projekt Gleis 22“ mitgenommen werden sollen − sei es in Wien, Prag oder anderswo.

During his residence, I conducted interviews and collected analog images to explore the Viennese experiments with collective living. In the 17 conversations, residents, architects, or neighbors reflected on the several years of realizing and running Gleis 21. During the analog workshop, over 20 participants photographed something private, something shared, and something representative of the project. Around 8 specific events allowed to experience the variety of everyday life in the house. In about 5 guided tours and following site visits, I could compare Gleis 21 with the neighboring housing projects, and see how they fit or help create the urban landscape. And during the final workshop, the participants and I discussed which experience shall be taken to the fictional project of Gleis 22 − should that be in Vienna, Prague, or elsewhere.

Meine Zeit im Gleis 21 war wie eine Zeitreise in eine der vielen Utopien, die wir in der Schule immer entworfen haben. Es begann mit einer etwas ungemütlichen, windigen und urlaubsleeren Atmosphäre des neu gebauten Sonnwendviertels, die durch ein herzliches Willkommensessen in einer der großen Wohnungen des Hauses aufgewogen wurde. Dieser Kontrast von lebendig und leer sollte mich während des ganzen Aufenthalts begleiten und sich nicht nur mit dem Wetter, sondern vor allem mit dem Charakter der verschiedenen Häuser in der Nachbarschaft ändern. JA zu Wohnkollektiven und Quartiershäusern! NEIN zu Gated Communities − wie jemand während des Abschlussworkshops sagte.

My time in Gleis 21 was like a teleport into one of the many utopias we’ve always designed at school. It began with a somewhat unwelcoming, windy, and holiday-empty atmosphere of the newly built Sonnwendviertel, only to be immediately countered with a warm welcome dinner in one of the great apartments in the house. This contrast of lively and empty would follow me throughout the residence, changing not only with the weather but mainly with the nature of different houses in the neighborhood. YES to housing collectives and quartierhäuser! NO to gated communities − as someone said during the final workshop.

Mein Koffer war zur Hälfte mit Kleidung und zur Hälfte mit Büchern über kollektives Leben gefüllt. Mein Laptop war bereit für ein tägliches Tagebuch, in dem ich Interviews und Reflexionen festhielt. Meine analogen Kameras gingen schnell auf Reisen zu meinen neuen Nachbarn − und ich folgte ihnen. Ich ging mit ihnen essen und frühstücken, bekam ein paar Hausbesichtigungen und viele Hintergrundinformationen, wir unterhielten uns in den Wohnzimmern der Leute oder in der Gemeinschaftssauna, ich besuchte das Kurzfilmfestival, schaute bei ein paar Arbeitsgruppentreffen zu und nahm am Flohmarkt des ansässigen toZOMIA-Kollektivs teil. Alles konnte die Lebensmuster in einem solchen Projekt aufzeigen. Oft aß ich im „Stadtelefant“ nebenan zu Mittag, beobachtete Passanten, die vor der Nachbarschaftswand von Gleis 21 stehen blieben, und verarbeitete das alles.

My suitcase was half clothes − half books on collective living. My laptop was ready for a daily journal recording interviews and reflections. My analog cameras quickly started to travel among my new neighbors − and I followed. I joined them for dinners and breakfasts, got a few house tours and many background insights, we talked in people’s living rooms or the shared sauna, I came to the short movie festival, watched a few working groups’ meetings, and joined the flea market by the residing toZOMIA collective. Anything could reveal the patterns of life in a project like that. I would often eat lunch at the Stadtelefant next door, watch passersby stop at the Gleis 21 library, and process it all.

In Erinnerung bleiben wird mir Mer`s Nudelsuppe, die im Erdgeschoss gekocht wurde und jeden zweiten Tag in der Gemeinschaftsküche im Obergeschoss für jeden, der rechtzeitig kam, zur Verfügung stand. Sie steht für das lockere Zusammenleben der Bewohner und der Künstlergruppe toZOMIA, zu der auch die Jungs vom „Kaffeesatz“ gehören. Ihre Zusammenarbeit ist für das Funktionieren des Hauses als lokales Mikrozentrum von entscheidender Bedeutung, und die Art und Weise, wie sie arbeiten, stellt viele der überholten Paradigmen in Frage. Gleis 21 erweist sich als komplexer Prototyp für unsere zukünftigen Wohnlösungen und zeigt, wie wichtig Solidarität und gemeinsames Teilen innerhalb und außerhalb unserer Gemeinschaften sind, sowie die Kraft gut gestalteter (und gut vermieteter!) Versammlungsräume, um unsere Stadtlandschaften zu aktivieren.

Out of the many memories, I often recall Mers noodle soup that, once made on the ground floor, every other day appeared in the shared kitchen upstairs available to anyone who came first. It embodies the casual coexistence of the residents and the artists‘ group toZOMIA, somewhat including the guys from Kaffeesatz. Their collaboration is vital for the house to work as a local microcenter, and the way they work challenges many of the outdated paradigms. Proving to be a complex prototype for our future housing solutions, Gleis 21 showcases the importance of solidarity and sharing inside and outside our communities, as well as the power of well-designed (and well-occupied!) spaces for gathering to activate our urban landscapes.

WORKSHOP FIKTIVES PROJEKT GLEIS 22

WORKSHOP FICTITIOUS PROJECT GLEIS 22

Im abschließenden Workshop nutzten wir die 200 gesammelten analogen Bilder, um ein fiktives Projekt von „Gleis 22“ zu diskutieren. Ich habe die Teilnehmer:innen gebeten, ein Foto auszuwählen und zu entscheiden, ob sie es in das nächste Projekt mitnehmen oder lieber wegwerfen. Mit anderen Worten: Ich wollte wissen, welche Aspekte oder Erfahrungen mit Gleis 21 würden Sie gerne weitergeben, und welche wären eine Warnung oder eine gescheiterte Richtung? Ein paar von vielen – JA zur Sharing Economy, NEIN zu Gated Communities, JA zur Soziokratie, NEIN zur konservativen Bürokratie, und JA zum Sich-Zuhause-Fühlen, NEIN zum Sich-Alleingelassen-Fühlen (ich muss mich um alles kümmern).

In the final workshop, we used the 200 collected analog images to discuss a fictional project of Gleis 22. Pick a photo, I asked the participants, and decide if you take it to the next project or rather throw it away. In other words, which aspects or experience with Gleis 21 would you like to pass on, and which would be a warning or a failed direction? A few out of many – YES to sharing economies, NO to gated communities, YES to sociocracy, NO to conservative bureaucracy, and YES to feeling at home, NO to feeling (I have to deal with everything) alone.

Mit der Initiative „Reclaim Prague“ möchte ich die Architektur des kollektiven Wohnens im Kontext der Prager Wohnungskrise erforschen und fördern. Der einmonatige Aufenthalt in Wien war mein erster Versuch, eine künstlerische Untersuchung zu diesem Thema durchzuführen. Einige der Erkenntnisse und Ergebnisse des analogen Workshops wurden in dem Text für das Prager Zentrum für Architektur und Stadtplanung zusammengefasst.1 Eine eigene Medienproduktion für „Reclaim Prague“ ist noch in Arbeit. Meine nächsten Schritte führen mich nach Zürich, wo ich die gelebte Realität einer Stadt beobachte, die bis 2030 ein Drittel gemeinnützige Wohnungen anstrebt.

Under the initiative Reclaim Prague, I aim to research and promote the architecture of collective living in the context of Prague’s housing crisis. This residence was my first attempt to conduct an artistic investigation on the topic. Some of the findings and results of the analog workshop were summarized in the text for the Prague Center for Architecture and Municipal Planning.1 A proper media output for Reclaim Prague is still in the making. My next steps lead to Zürich, where I am observing the lived reality of a city aiming for one-third of non-profit housing by 2030.